Zwölf Männer und ein Ziel

 Wandern im Odenwald

Einmal im Jahr, wenn die Schulferien zu Ende gehen, machen sich die „DoWas“, die Donnerstagswanderer des TV Lemgo, auf den Weg. Ziel der diesjährigen, der 12. Wanderwoche,war der Odenwald. Für den Chronisten Neuland.

Eine Bahnanreise verspricht für sich alleine noch kein Abenteuer. Auch nicht, wenn man oft umsteigen muss. Aber der dreieinhalbstündige Zwischenstopp in Seligenstadt machte die Hinfahrt mehr zum Tagesausflug und weniger zu einer vom Fahrplan diktierten Anreise mit Unterbrechungen. Zwei kompetente Kümmerer, Jürgen Engelhardt und Utz Tannert waren hierfür verantwortlich.

Sonntagnachmittag in Seligenstadt heißt Geschichte und Kultur pur. Die Zutaten: Römer, Staufer, Einhard-Basilika, Benediktinerabtei, Fachwerk und eine Altstadt, die rekordverdächtige 177 anerkannte Kulturdenkmäler innerhalb ihrer mittelalterlichen Stadtmauer beherbergt. Ein geführter Stadtspaziergang beförderte viele Detailinformationen über eine stolze Stadt am Fluss zu Tage. Der Main markiert die hessische Landesgrenze. Brückenlos, nur mit Hilfe einer Fähre, gelangt man nach Bayern.

Am frühen Abend Ankunft im Bad König. Seit 1948 staatliches Kurbad mit Kurpark, Therme, Tanzabend am Samstag, Tanztee am Sonntagnachmittag und Jazzfrühstück an jedem zweiten Mittwochvormittag. Aber die „DoWas“ haben keinen Blick für eine “Kulissenwelt”, die von den “sanften Illusionen” (Hermann Hesse) einer Kurstadt erzählen. Bad König war fünf Übernachtungen lang Ausgangspunkt für vier ambitionierte Wanderungen. Das Hotel, der Schönberger Hof, kommt ohne Animation für seine Gäste aus und hat mit dem Charme der 1970er Jahre schon bessere Zeiten gesehen. Aber auch das spielt keine Rolle. Im gleichnamigen Restaurant gleich nebenan gab es Abendbrot. Die Überraschung, der älteste Gasthof Bad Königs bietet deutsch-griechische Küche. Neben Gyros, Souvlaki und Mykonos-Teller haben auch Rindergulasch, Lammhaxe und Schweineschnitzel Platz.

Geht das? Es geht so.

Am Montagmorgen verließen wir Bad König in nördlicher Richtung. Die erste Etappe führte uns nach Sandbach. Das geplante Mittagessen in „uriger Atmosphäre“, so die Ankündigung auf der Homepage der Breuberger Stuben, fand nicht statt. Trotz Anmeldung blieben sich die Betreiber ihrer Montag-ist-Ruhetag-Devise treu. Das Café Schneider, einige hundert Meter zurück, täglich geöffnet, sprang ein. Zwölf Wanderer fanden Platz in der kleinen Konditorei, legten den Schalter um und orderten Baguette, Croissants, Käsekuchen oder Frankfurter Kranz.

So gestärkt erreichten wir nach vier Kilometern aufwärts die stauferzeitliche Burganlage Breuberg. Ein gut erhaltenes Kleinod mit über 850-jähriger, wechselvoller Geschichte. Sie war Vogteiburg und Residenz gräflicher sowie fürstlicher Familien. In der Neuzeit dann Sitz einer Spielzeug-Manufaktur, Landratsamt und während des 2. Weltkriegs Unterbringungsort für Zwangsarbeiter. Heute befinden sich auf der Burg eine Jugendherberge, Burgschänke und das Breuberg-Museum.

Bekannt war, dass die Burgschänke an diesem Tag geschlossen hatte. Nicht, weil Montag war, sondern weil der Koch heiratete. Erfreulich daher ein Aushang, der darüber informierte, dass in der Burgschmiede Getränke angeboten wurden. Die meisten entschieden sich für ein gut gekühltes „Schlappeseppel-Radler“.

Es handelt sich hier nicht um einen Energiedrink für den schlappen Seppel, sondern „Schlappeseppel“ ist der Name einer Aschaffenburger Brauerei. Einen schattigen Platz für den Verzehr bot das „Erbacher Zeughaus“ gleich gegenüber der Burgschmiede. Ein aufwendig saniertes Gebäude, das für Ausstellungen und als Standesamt genutzt wird. Jetzt folgte das anstrengendste Teilstück dieses Wandertages. Auch, weil jetzt dem letzten dämmerte, dass Busverbindungen innerhalb der Schulferien spärlich gesät sind. Eine weitere 10-Kilometer-Kraft-Anstrengung am Nachmittag lag also noch vor uns. Nur die Odenwaldbahn von Höchst nach Bad König sorgte eine Station lang für eine Verschnaufpause von fünf (!) Minuten.

Geplant war eine Tageswanderung in Teilstrecken. An mehreren Punkten hatte jeder die Möglichkeit, mit Hilfe von öffentlichen Verkehrsmitteln die Wanderstrecke zu verkürzen. Aber es kam anders. Erst hässliche, kleine Fußnoten in Kursbüchern verhalfen zu sportlichen Höchstleistungen. Alle schafften 27 Kilometer. Am Abend fragte sich der Berichterstatter allerdings „Fühlt sich so das Alter an?“ Abends im „Deutschen Hof“. Nicht jeder ist hier Koch, aber Kochs sind sie alle, das Team vom Deutschen Hof in Bad König, ein Familienbetrieb mit 140 jähriger Lokalgeschichte unter der Leitung von Koch und Pächter Gabriel Koch. Gutbürgerlich im besten Sinne. Auch die, die wild auf Wild waren, kamen auf ihre Kosten. Der „Äppler“ war „besser als gestern“, so ein Apfelwein-Kenner in der Runde.

Am Dienstagvormittag verließen wir Bad König in südlicher Richtung. Nach der gestrigen Kraftanstrengung sollte es heute kommoder zugehen. Auf wunderschönen Waldwanderwegen und kurzer Rast in Weiten-Gesäß (der Ort heißt wirklich so) erreichten wir schon um die Mittagszeit Michelstadt, das Zentrum einer „Ruhepolregion“, mit „Geschichte und Kultur zum Anfassen“ wie ein Werbeprospekt versprach. Ein Stadtführer wurde nicht gebraucht. Utz Tannert, immer wissend, hatte sich für heute besonders vorbereitet.

Drei Hingucker im Zentrum. Das Rathaus, schöner Fachwerkbau mit gotischem Profananbau, die evangelische Stadtkirche, spätgotische, „pseudobasilikale“ Hallenkirche und noch innerhalb der Stadtmauern, aber ganz am Rand, die 1791 erbaute Synagoge. Der Novemberprogrom 1938 verwüstete zwar den Innenraum, das Gebäude selbst blieb aber unversehrt. Seit der Renovierung 1970 Museum und seit 2005 auch wieder Gotteshaus. Vor den Toren von Michelstadt, in Steinbach, gab es zwei Glanzpunkte zu besichtigen.

Die Einhard-Basilika, wie in Seligenstadt benannt nach Einhard, Biograph Karls des Großen, ist ein seltenes Zeugnis „authentischer“, karolingischer Architektur. Schloss Fürstenau, errichtet im 14. Jahrhundert, ein besonderes Exemplar im verschwenderischen Umgang mit Baustilen. Schmuckbogen statt Zugbrücke, Renaissance-Schlossmühle, barockes Kavaliershaus und Neues Palais aus der Zeit der Klassik. Da das Schloss heute noch von der Grafenfamilie von Erbach-Fürstenau bewohnt wird, ist die Besichtigung nur von außen und vom Schlosshof aus möglich.

Zurück nach Bad König mit der Odenwaldbahn. Eine Station oder sechs Minuten Zeit, um die vielen Eindrücke zu verarbeiten. Die kurios-kulinarische Überraschung am Abend in der „Wacht am Rhein“. Im Odenwald? Viele Dinge schießen einem bei diesem Restaurantnamen durch den Kopf. Nicht aber, dass sich ein „Italiener“ dahinter verbirgt. „Hier kocht der Chef selbst“, wirbt Edmondo Ragucci auf seiner Homepage. Für die Freunde der italienischen Küche gibt es das klassische Pasta-Pizza-Angebot. Für die anderen Jäger – oder Zigeunerschnitzel.

Am Mittwochvormittag ging es von Bad König in östlicher Richtung. Zwischenziel war die Odenwaldlinie des Neckar-Odenwald-Limes. Am „Gesundheitsbrunnen“ vorbei erreichte die Gruppe das römische Kastell Hainhaus oder besser das, was davon übrig geblieben ist. Eigentlich nichts. Für Spezialisten nur noch an Geländespuren erkennbar. „Die Reste“ – so eine Erklärung aus dem „World Wide Web“ – „seien von den Bauern der Umgebung abgebaut und als Baumaterial verwendet worden“. Unübersehbar aber, auf einem Erdhügel, stehen sechs barocke Steinsessel, deren Funktion und Herkunft nicht eindeutig geklärt sind. Vermutet wird, dass es sich um Gerichtssessel des Zentgerichtes handelt, die im Jahre 1775 hier aufgestellt wurden und die als Sitzplatz für fürstliche Jagdgesellschaften dienten. Das Angebot, eine weitere „Attraktion“ zu besichtigen, nämlich die Nachbildung eines Limes-Wachturmes aus dem Jahre 2010, ließen wir ungenutzt und zogen weiter.

Die Mittagspause in der „Vesperstube Einkehr“ im Bremhof nach rund 12 Kilometern wurde für einige zum kulinarischen Happening. Der notierende Rheinländer in der Gruppe konnte immerhin seinen Bildungshunger stillen. Sommerzeit – das ist die Zeit für „Handkäs’ mit Musik, eine hessische Spezialität. An diesem Sauermilchkäse scheiden sich Geister, entweder man liebt ihn oder kann ihn nicht „riechen“. Die Musik dazu ist die Marinade aus Zwiebeln, Essig, Öl, Pfeffer und Salz. Bestellt man ihn „ohne Musik“ fehlen die Zwiebeln.

Das Ziel des zweiten Teils der heutigen Wanderung (im weiten Bogen um Vielbrunn) war eine Bushaltestelle in Kimbach. Mit einer Busfahrt wollten wir den Nachhauseweg um gut vier Kilometer „verkürzen“. Das Restaurant „Zum grünen Baum“, direkt an der Bushaltestelle gelegen und offiziell geschlossen, erwies sich dennoch als Durstlöscher. Unter der Bedingung, bar, passend und sofort zu zahlen war man bereit, uns jenes Erfrischungsgetränk einzuschenken, dass in der Gegend auch „das Stöffche“ genannt wird.

Zum Abendbrot dann in den „Pferdestall“. Früher Kuh- und Pferdestall, heute „Ein Haus mit Charakter“ so die Eigenwerbung. Erst saßen wir im halbgeschlossenen Biergarten, später im landhaustypischen, rustikal eingerichteten Gastraum. Rustikal und deftig auch das Angebot: Spareribs, die üblichen Schnitzelvarianten und allerlei hausgemachte Spezialitäten. Die Donnerstagswanderung führte uns ins Mossautal. Das Zentrum des Hessischen Odenwaldes ist die perfekte Landschaft für eine perfekt geplante zweigeteilte Wanderung. Vorab brachte uns die zuverlässige Odenwaldbahn von Bad König nach Erbach. Weder die Gräflichen Sammlungen auf Schloss Erbach, noch der Englische Garten etwas außerhalb der Stadt konnte uns davon abhalten, dass zu tun, was uns das Liebste ist: Wandern! Und so ging es auf herrlichen Waldwegen durch eine bezaubernde Landschaft, nahezu immer am „Roßbächlein“ entlang ins „Herz“ des Mossautals.

Nach neun Kilometern Mittagspause im Brauereigasthof der Privat-Brauerei Schmucker in Ober-Mossau. Im schattigen Biergarten hatten wir einen Tisch reserviert, um uns zu stärken. Angeboten wurden sehr umfangreiche, hochwertige Speisen und natürlich das „Schmucker-Bier“. Zwei Teilnehmer fanden hier „ihren“ Nachtisch. „Lauwarmer Apfelstrudel mit Vanilleeis und Sahne“. Mit dem Hinweis auf eine Zubereitungszeit von 20 Minuten, wurde dem Gast erklärt, dass jedes Stück frisch zubereitet wird.

Der zweite Teil der Wanderung, auf den ersten Blick nicht so spektakulär wie der erste, war aber nicht weniger schön. Nach sieben Kilometern, immer leicht bergab, erreichen wir den Bahnhof von Michelstadt. Die Odenwaldbahn brachte uns zurück nach Bad König, zum Ausgangspunkt aller Wanderungen in dieser Woche.

Am Abend wieder beim „Griechen“. Die Gastgeber gaben sich lockerer und entspannter als am Sonntag. Auch der Ouzo schmeckte heute besser.

Über die Rückfahrt mit der Deutschen Bahn gibt es nichts Besonderes zu berichten. Diesmal mussten wir fünfmal (!) umsteigen. Aber alle Züge waren pünktlich. Auch über das Wetter muss man nicht viele Worte verlieren. Eins genügt: Prima (an allen Tagen).

Resümee? „Wandern ist Sport“ lautet eine Binsenweisheit. 75 gewanderte Kilometer kamen zustande und dafür war jeder gut 16 Stunden auf den Beinen. Eine andere geht so: Sport und Kultur bilden eine ungewöhnliche Symbiose. Die „DoWas“ leben sie aus. Im Odenwald und anderswo. Erst Trommelwirbel, dann Applaus.

 

Dietmar Goergen

dowas-odenwald

Die zwölf Männer (v.l.n.r.): Lothar Henrich, Ekkehard Stark, Utz Tannert, Jürgen Wehmeier, Armin Pätzold, Reiner Niehus, Gerhard Grefe, Wolfgang Mohr, Detlef Urban, Siegfried Busch, Dietmar Goergen und Werner Mesch.

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